Die Autoren des Fachartikels Land competition and its impact on decarbonized energy systems: A case study for Germany, Energy Strategy Reviews 55, 101502 (2024) von der Leibniz Universität Hannover und vom Institut für Solarenergieforschung nehmen Stellung zur kontroversen öffentlichen Diskussion der Studienergebnisse und weisen insbesondere darauf hin, dass die Bioenergie in allen vorgestellten Szenarien berücksichtigt und intensiv genutzt wird.

Stellungnahme zur Pressemeldung des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie vom 27.8.2024 mit dem Titel Studie zur Bioenergie blendet die Realität aus. Aiwanger: „Wer Bioenergie aus dem Energiesystem nehmen will, verkennt die Möglichkeiten und die Notwendigkeiten“

Die Autoren des Fachartikels Land competition and its impact on decarbonized energy systems: A case study for Germany, Energy Strategy Reviews 55, 101502 (2024) von der Leibniz Universität Hannover und vom Institut für Solarenergieforschung nehmen aufgrund der öffentlichen Resonanz auf die oben genannte Pressemitteilung klärend Stellung und weisen insbesondere darauf hin, dass die Bioenergie in allen vorgestellten Szenarien berücksichtigt und intensiv genutzt wird. Die Behauptung, die Autoren wollten „Bioenergie aus dem System nehmen“, ist falsch.

Unsere Analysen finden unter den vielen möglichen zukünftigen Energiesystemen diejenigen heraus, die unter den gemachten Annahmen alle Energiebedarfe decken, die wichtigsten in der Realität wirkenden Zusammenhänge berücksichtigen und gleichzeitig die kostengünstigsten sind.

Natürlich berücksichtigen wir dabei die Existenz von Dunkelflauten, die mit chemischen und elektrischen Speichern, darunter die flexible Nutzung von Biomasse, überbrückt werden. Das kostengünstigste Szenario für 6% energetische  Landnutzung  verwendet 186 TWh/a an Biomasse in Form von Abfall- und Reststoffen. Damit stiege der Anteil der Biomasse an der Primärenergiebereitstellung von heute etwa 8 % in diesem Szenario auf etwa 9 % an.

Natürlich berücksichtigen wir auch die Möglichkeit, grünen Wasserstoff zu importieren und dadurch die energetische Flächennutzung zu reduzieren. Wir haben einen Importpreis von 3 €/kg angenommen, was sich mit Studien Dritter gut begründen lässt[1],[2] und auch in keinem Wiederspruch zu den ersten Ergebnissen der Ausschreibungen für importierten Wasserstoff bis 2033 steht.[3] Mit dieser Annahme ergibt sich im volkswirtschaftlichen Optimum ein Verzicht auf Wasserstoffimport. Deutlich niedrigere Importpreise führten zu Wasserstoffimporten die einen Teil der Photovoltaik (PV) verdrängen würden.

Wir berücksichtigen aber auch, was oft übersehen wird: Dass die für das Energiesystem nutzbaren Flächen begrenzt sind. Unter der Annahme, dass 6% der deutschen Landesfläche für PV und Energiepflanzen zur Verfügung stehen, ergibt sich ein Energiesystem, das auf Biomasse aus auf dem Acker angebauten Energiepflanzen ganz verzichtet, andere Biomasse aber nutzt. Das ist nicht das Ergebnis eines Ausspielens verschiedener Energieformen gegeneinander, sondern das mathematische Ergebnis unter den gemachten Annahmen.

Da wir heute nicht wissen, wieviel Land die Gesellschaft der energetischen Nutzung zu widmen bereit ist, haben wir in unserer Studie verschieden große Flächenanteile betrachtet. Es ergibt sich, dass die in der oben genannten Pressemitteilung erwähnten Vorteile der Anbaubiomasse erst zum Tragen kommen, wenn sehr viel mehr Land als heute für die energetische Nutzung bereitgestellt wird. Das liegt auch daran, dass Freiflächen-PV einen 10‑ bis 70-fach höherer Energieertrag pro Landfläche hat.

Natürlich sind in solchen Simulationen nie alle Aspekte berücksichtigt:

Wir berücksichtigen z. B. nur den Flächenertrag und die Kosten der verschiedenen Technologien. Andere Aspekte der Landnutzung durch Freiflächen-PV wie eine Erhöhung der Biodiversität, der Verzicht auf Nitrateinträge in den Boden, oder die im Vergleich zum Ackerbau geringere Bodenverdichtung werden nicht betrachtet.

Agri-PV haben wir ebenfalls nicht explizit berücksichtigt. Stärken der Agri-PV liegen in der Kombination von Energiebereitstellung und Pflanzenschutz, in der Kombination mit dem Anbau hochwertiger Nutzpflanzen oder in der Urbarmachung nicht fruchtbarer Agrarflächen. In der Einheit Ertrag pro Fläche bietet die Agri-PV wenig Vorteile gegenüber dem Nebeneinander einer auf Flächenertrag optimierten Freiflächenanlage und einer konventionell genutzten Landwirtschaftsfläche.[4]

Aufgrund der in jeder Modellrechnung immer unvollständigen Betrachtungen, können Simulationsstudien keine „Handlungsanweisung“ ausrechnen. Vor der Handlung steht immer noch eine breitere fachliche und letztlich auch gesellschaftliche Diskussion. Unsere Ergebnisse leisten einen Beitrag dazu. Sie zeigen den besonders hohen Wert einer effizienten photovoltaischen Nutzung knapper verfügbarer Flächen auf.

Wir freuen uns darüber, dass die Berichterstattung des Tagesspiegels-Background vom 27.8.2024 und die nachfolgenden Reaktionen in der Presseöffentlichkeit und hoffentlich auch diese Stellungnahme diese Diskussion fördern.

Marlon Schlemminger
Clemens Lohr
Florian Peterssen
Dennis Bredemeier
Raphael Niepelt
Astrid Bensmann
Richard Hanke-Rauschenbach
Michael H. Breitner
Rolf Brendel

Download der Stellungnahme im pdf-Format

Zur Originalstudie in der Zeitschrift Energy Strategy Reviews: https://doi.org/10.1016/j.esr.2024.101502


[1] Sens, L. Piguel, Y., Neuling, U., Timmerberg, S., Wilbrand, K., Kaltschmitt, M. (2022). Cost minimized hydrogen from solar and wind – Production and supply in the European catchment area, Energy Conversion and Management, Volume 265, 115742, https://doi.org/10.1016/j.enconman.2022.115742.

[2] Merten, F., & Scholz, A. (2023). Meta-Analysis of the Costs of and Demand for Hydrogen in the Transformation to a Carbon-Neutral Economy. Wuppertal Institute.

[3] Pressemitteilung des BMWK vom 11.07.2024 zur ersten Ausschreibungsrunde des Programms H2Global, https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2024/07/20240711-h2global.html

[4] Laut DINSPEC 91434 sind für Agri-PV mindestens 85% der landwirtschaftlichen Fläche zu erhalten, die mindestens 66% des Referenzertrags eines Feldes ohne PV an landwirtschaftlichem Ertrag einbringen müssen. Typische Agri-PV-Anlagen erreichen dabei installierte Leistungen von bis zu 350 kW/ha. Dieselbe Flächendichte erreicht die Kombination aus 80% landwirtschaftlicher Nutzung und 20% durch eine auf Flächeneffizienz optimiert Freiflächenanlage zu günstigeren Energiegestehungskosten.